Lena und Flora

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Kindheit in einem afrikanischen Dorf


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Was erwartet uns?

Da saß sie nun im VW-Bus, eingeklemmt zwischen umfangreichen Gepäckstücken: Ein kleines Mädchen mit kurzen strohblonden Haaren und frechen blauen Augen.

Mittlerweile hatte das Auto die Teerstrasse verlassen und rumpelte über eine staubige Piste auf jenes - noch etliche Kilometer entfernte - Haus zu, das für drei lange Jahre ihr neues Heim sein sollte.

Lehmhütten, Maisfelder, Kaffeesträucher, Bananenbäume, grasende Kühe und winkende Schulkinder zogen vorbei; von ihren Eltern mit einer Mischung aus Neugier du Sorge betrachtet. Denn von heute an hieß es in dieser abgelegen Gegend mit völlig unbekannten Menschen in einer total fremden Kultur zu leben.

 


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Ankunft im Dorf

Lena war nichts anzumerken. Sie zappelte herum, wie immer, und ihr Mund arbeitete auf Hochtouren, wie immer. Was ihr, wie immer, tadelnde Blicke ihrer Mutter eintrug.

Würden wir unter Wassermangel leiden? Wie würden die hygienischen Verhältnisse sein? Würde Lena Spielkameraden haben? Würde sie von gefährlichen Insekten und Schlangen gebissen werden? Kriminalität sollte ein großes Problem sein - würde man sich an einem Kind vergreifen? Hier war das Gebiet des Mau-Mau Aufstands, einer Bewegung, der damals in Europa große Brutalität nachgesagt wurde.

Das Rumpeln wurde leiser. Wir bogen von der Strasse ab, fuhren eine Einfahrt hinunter und hielten vor unserem Haus.

 


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Der Zaun

Die Koffer wurden ausgeladen. Lena setzte ihren Rucksack ab. Die Hauseigentümerin schloss die Türen auf und zeigte uns alles. Der Bus fuhr zurück. Wir waren allein.

Lena nahm aufgeregt alles in Augenschein. Dann ging es ans Auspacken und Einrichten, vor allem aber ans Saubermachen, denn das Haus hatte lange leer gestanden.

Mitten im Gewühl stahl sich ein kleiner Blondschopf aus dem Haus und ging langsam hinüber an den Stacheldrahtzaun, der zusammen mit einer Hecke und einigen Mango-Bäumen die Grenze zu unseren Nachbarn bildete. Hier stand schon seit geraumer Zeit eine Handvoll Kinder und blickte aus dunklen Augen neugierig herüber.

 


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Die Begenung

Die Kinder liefen alle barfuss und eins hatte eine Schnodder-Nase. Die Verständigung gestaltete sich schwierig. Sie sprachen Kikuyu und versuchten sich mit ein paar Brocken Englisch. Lena sprach Deutsch und verfügte ebenfalls über ein paar wenige Brocken Englisch.

Nach der ersten gegenseitigen Begutachtung schafften es die Nachbarkinder per Kikuyu und Zeichensprache, Lena dazu zu bringen, einen herumliegenden langenMaisstrohhalm aufzuheben. "This one?" fragte sie. "This one!" kam es von der anderen Seite des Zauns. Dann rannten alle unter lautem Juchen, "this one"-Rufen und mit wehendem Maisstrohhalm diesseits und jenseits des Zauns auf und ab. Später ging man dann mit Hilfe der erprobten "this one"-Verständigung auf Äste, Steine und Lenas Spielzeug über.


 

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Das Haus

Abends wird es früh dunkel in Kenia. Wir zündeten Kerzen und Petroleum-Lampen an. Wasser zum Waschen und Kochen hatten wir vorher per Eimer ins Hausgebracht. Später installierten wir einen Schlauch mit Handpumpe. Der Hauswirt hatte noch ein Spülkloh und eine Dusche für uns einbauen lassen. Mit dem Wasser mussten wir sehr sparsam sein.

Nach dem Essen verstaute Lena den Inhalt ihres Rucksacks in dem Einbauschrank, der in ihrem Zimmer war. Waschen, Zähne putzen, dann wurden die Gitter geschlossen und die Türen zugemacht. Lena schlief schnell ein. Die grossen Spinnen im Haus hatten wir besetigt. Sie stellten sich auch als völlig harmlos heraus.


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Das Loch im Zaun

Nach einigen Tagen trauten sich die Nachbarkinder zu uns herüber. Der deutsch-englische Sprachschatz nahm zu, auch weil Flora dazustieß. Sie war acht Jahre alt und hatte bis zum Spätnachmittag Schule, wo sie auch schon etwas Englisch gelernt hatte.

Lena jedoch traute sich noch nicht auf die andere Seite. Sie hatte einen gehörigen Respekt vor den Eltern der KInder. Wenn es mal Streit gab, rief etwa Patrick Wanyoike: "I go and hol my mother!", und dann war Lena nicht mehr zu sehen.

Aber nach einigen Wochen war das Eis gebrochen, und Lena krabbelte durch den Zaun.


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Familienanschluss

Bald fühlte Lena sich hingezogen zur Mutter und wurde das siebte Kind der Familie. Begeistert half sie bei der Hausarbeit: Wasser vom Bach holen, Essen vorbereiten, die Hütte fegen und auf das Jüngste aufpassen. Ihre Lieblingsbeschäftigung aber war es, die Kühe zu treiben und zu hüten.

Wenn Flora von der Schule kam, war meist noch Zeit ein bißchen zusammen zu spielen. Danach kam wieder die Hausarbeit. Das Abendessen mußte vorbereitet werden.

Nach drei Monaten sprach Lena fließend Englisch, nach weiteren drei Monaten fließend Kikuyu. Bald kam sie nur nch zum Schlafen nach Hause.

 

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Flora (Florence Wanjiru)

In der ganzen Bande nahm Flora die wichtigste Stellung ein, weil sie die älteste der Clique war. Sie demonstrierte wie man Fangen, Verstecken, Mutter und Kind, Schule, Ball, Kuh und ähnliches spielt. Sie zeigte Fadenspiele und bastelte aus Konservendosen, Kronkorken und Maisstroh einfaches Spielzeug. Lena bewunderte sie, und beide verband bald eine enge Freundschaft. Selten war mal eine ohne die andere zu sehen.

Wenn Flora nicht so viel zu tun hatte, durfte sie auch mal bei Lena schlafen.

 

 

 

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Melken mit Hindernissen

Lena kannte die Kühe beim Namen. Einige ihrer Spielsachen wanderten in Kuhmägen. Sie konnte Sungura (Hase), Jatta und December am Klang ihres Muhens unterscheiden. Ihr Traum war es, eine von ihnen zu melken. Das war den Kindern aber streng untersagt.

Einmal aber fühlten sich Patrick und Lena mutig genug und begannen einer Kuh am Euter zu zupfen. Siehe da,etwas Milch kam heraus. Lena stürzte in die Hütte, um eine Blechschüssel zu holen. Vor lauter Eifer stolperte sie und schlug mit de Kopf ans Tischbein. Mit einer dicken Beule und unter Tränen kam sie nach Hause zurück.

 

 

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Zum Arzt
Eines Tages war einer von Lenas großen Zehen dick angeschwollen. Es schien etwas drin zu sein. Die Entzündung wurde immer bedrohlicher. Schließlich fuhren wir zum Arzt nach Nairobi. Dies entsprach jedesmal einem Tagesausflug und war in der Regenzeit auch schon mal völlig unmöglich.

Der Arzt entfernte mit einer Nadel den Grund des Übels: einen Sandfloh. Lena schrie und trat aus Leibeskräften und mußte von drei Leuten festgehalten werden. Sandflöhe bohren sich in die Haut an Fuß- und Fingernägeln und rufen kleine Eiterpickel hervor, die, rechtzeitig erkannt, schmerzlos mit einer kleinen Nadel entfernt werden können.

Lena bekan mit schöner Regelmäßigkeit Sandflöhe. Jetzt achteten wir darauf und entfernten diese Stellen während Lena schlief. Doch bald lernte sie, sich diese selbst zu entfernen (siehe Foto).

 

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Am Bach

Besonders während der Trockenzeit mussten die Kinder oft zum Fluß und Wasser holen. Mit kleinen Plastikkanistern bewaffnet liefen sie die 300 Meter durch die Farm steil bergab zu einem schmalen Bach.

iHier trödelten sie auch gerne etwas herum. Lena vollbrachte das Kuststück mehrmals in das Rinnsal zu fallen. Die Kinder tranken auch Wasser vom Bach, was wir Lena ausdrücklich verboten hatten. Irgendwann gestand sie uns, dass sie es trotzdem getan hatte und versetzte uns in Panik - kam jetzt der schlimme fieberhafte Durchfall? Zum Glück blieb er aus, nichts passierte.


 

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Das Kalb, das boxt

Als wir schon einige Zeit in Kenia lebten, gab es ein Kalb auf dem Nachbarhof. Es war männlich und temperamentvoll, so hatte es etwa schon mal Rose über den Haufen gerannt. Eines schönen Tages war es den Kindern, die eigentlich hätten aufpassen sollen, abgehauen und war bei uns am Wassertank gelandet. Wir fürchteten um den Verlust des Wasserhahns und damit um den gesamten Tankinhalt.

Das wäre einer wirklichen Katastrophe gleichgekommen. So wollten wir es wieder rübertreiben, da kam Lena angerannt: "Vorsicht! Das Kalb das boxt. Laßt uns das machen." Und dann trieben die Stepkes das gefährliche Viech an den erstaunten Eltern vorbei vom Hof.

 

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Der Marktflecken

Ab und an begleitete Lena die Mutter von Flora zum drei Kilometer entfernten Markt, meist um ihr zu helfen, Gemüse zu verkaufen. An einem dieser Tage hatten die Grundschüler der Umgebung hier ein Kulturfestival abgehalten und machten nun anschließend den Markt "unsicher".

Als sie Lena sahen, strömte alles unter "Muthungu" (Europäer) Rufen zusammen und versuchte einen Blick auf Lena zu erhaschen, sie gar zu berühren oder ihre Haare zu fühlen. Lena drängte sich enger an die Mutter. Als die Kinder nun in ihrem Eifer noch auf einigen ausgelegten Sachen herumtrampelten setzte es Ohrfeigen vom Standeigentümer. Alles spritzte auseinander, Lena hatte Ruhe.

Wie gewöhnlich kehrte man kurz vor dem Dunklewerden nach Hause zurück. Später ging Lena auch oft mit Flora alleine zum Markt, um kleine Einkäufe zu erledigen..

 

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Der Kindergarten / die Vorschule

Der Kindergarten befand sich gleich auf der anderen Seite unseres Grundstücks. Es war ein baufällig wirkender Lehmbau mit einem rostigen Wellblechdach.

Nachdem wir die Kindergärtnerin kennengelernt hatten, wollte Lena auch gerne teilnehmen. Die erste Zeit wich sie nicht von der Seite der Lehrerin und sie durfte sogar mit am Pult Platz nehmen, weil sie doch sehr bedrängt wurde von den anderen Kindern.

Das gab sich aber bald und dann man spielte gemeinsam und lernte zusammen die Zahlen und das Alphabet.

 

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Richard Muchiri bekommt eine eigene Hütte

Gemäß der Tradition erhalten Söhne ab einem bestimmten Alter eine eigene Hütte auf der elterlichen Farm.

Als es nun bei Floras großem Bruder soweit war, beteiligten sich die Kinder mit Feuereifer an den Vorbereitungen. Zunächst wurden aus Stämmen und Ästen grobmaschige Wände und ein Dachgestell errrichtet. Einige Tage später wurde Wellblech aufs Dach genagelt und dann folgte der Hauptspaß: Eine Grube wurde ausgehoben und darin wurde mit etws Wasser Lehm gestampft - mit bloßen Füssen. Mit diesem Material wurden dann die Wände bepflastert.

Richard wurde von allen Kindern sehr bewundert.

 

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Lena kommt in die Dorf-Schule

Nach einem Jahr Kindergarten wollte Lena unbedingt in die Schule. Sie war erst 5 1/2, aber Patrick sollte eingeschult werden und natürlich wollte sie Flora nacheifern. Wir hatten Angst, dass sie von einer Unzahl von Kindern bedrängt werden würde. Die Nachbarn aber ermunternten uns, und so ging ich zusammen mit Lena zum Rektor. Der schickte nach der Lehrerin, und diese nahm Lena gleich mit in die Klasse.

Ich verbrachte einige unruhige Stunden im Projekt. Mittags holte ich sie mit dem Auto ab. Während der Pausen war sie bei der Lehrerin geblieben. Aber schon nach einigen Tagen war Lena etwas ganz Normales an der Schule, und nur wenn ich sie und ihre Freunde manchmal mit dem Auto oder dem Motorrad abholte, sorgte das noch für Aufsehen.

 

 

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Über Nacht bei Flora

Nicht nur Flora schlief öfters bei uns, auch Lena schlief ein paarmal bei den Nachbarn. Mehrere Kinder mußten sich ein Bett teilen, und so ergab sich diese Gelegenheit immer nur dann, wenn etwa die Eltern zu Oma und Opa nach Nyahururu fuhren. Dann paßte Wairimu, die auch bei uns im Haus half, auf die Kinder auf.

Alle Sorgen, die wir uns anfangs um Lena gemacht hatten, stellten sich als unbegründet heraus. Sie hatte sich vollständig eingelebt und genoß das Leben auf dem Lande. An Krankheiten hatte sie hauptsächlich mit Husten und Bronchitis zu kämpfen, weil es morgens manchmal recht kalt war in der Schule.


 

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Eine Schlange

Eines schönen Tages scheute plötzlich eine Kuh, die gerade genüßlich an einer Hecke knabberte. Die Kinder wurden aufmerksam und rannten hin. Zu ihrem großen Schrecken sahen sie eine Schlange in den Ästen. Sofort wurden die Nachbarn alamiert, die mit Stöcken herbeieilten und die Schlange erschlugen. Danach wurde sie sofort verbrannt.

Das war die einzige Schlange, die Lena dort zu Gesicht bekam. Ob sie giftig war, konnten wir nicht herausbekommen.


 

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Der Abschied

Nach drei Jahen kam die Zeit, dass wir zurück nach Deutschland mußten. Einige Wochen vorher kam ich in meinem Projekt mit einem Kunden näher ins Gespräch. Kurz bevor er ging, fragte er: "Ach wie geht es eigentlich unser Tochter?" Ich verstand nicht. "Ja," sagte er, "dein Kind nennen wir hier nur 'unsere Tochter', weil sie ist wie unsere Kinder."

Ich war gerührt. Wir waren von den Menschen in Kenia liebevoll aufgenommen worden, und der Abschied fiel uns allen schwer.

(Foto: Blick von unserem Haus auf den Mt. Kenya an einem besonders klaren Tag.)

 
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