Lothar Popp ca. 1974 |
Popp im Gespräch mit Norbert Gansel 1978; zum Vergrößern anklicken. |
Am 28. Oktober 1918 erhielt die Hochseeflotte den Befehl zum Auslaufen. Die Matrosen nahmen gewiß zu recht an, daß die Flotte in einem letzten Verzweiflungskampf lieber untergehen sollte als in den Waffenstillstandsverhandlungen mit den Alliierten ausgeliefert zu werden. Die Heizer rissen die Feuer heraus und verhinderten so das Auslaufen der Schiffe.
Abordnungen der Matrosen erklärten, sie seien bereit, die Küste gegen einen Angriff zu verteidigen, aber sich sinnlos einem sicheren Untergang preiszugeben, dazu seien sie nicht bereit. Cirka 800 Mann wurden festgenommen .... (Anm. 1)
Da den Matrosen jede Versammlung verboten wurde, begannen sie zu demonstrieren. Um fünf Uhr nachmittags (am 3.11.1918) versammelten sich etwa zehntausend Matrosen und einige tausend Arbeiter, zogen zunächst zur "Waldwiese" und holten die dort gefangenen heraus; wobei sich eine erhebliche Anzahl bewaffnete.
Der Zug bewegte sich dann zur Militärstrafanstalt in der Feldstraße. Marineinfanterie, die den Zug aufhalten sollte, weigerte sich. Jedoch an der Feldstraße gab es einen Zusammenstoß mit einer Gruppe, die als Applikanten und Maaten extra zusammengestellt war. Es gab acht Tote und zwanzig Verwundete (Anm. 2). Doch die Bewegung war nicht mehr aufzuhalten. Immer mehr Einheiten schlossen sich der Bewegung an. Es wurden Soldatenräte gegründet.
In jeder Kaserne wurde extra Revolution gemacht, auf jedem Schiff extra. Auf einem Schiff haben sie mich geholt. Die kamen an, ich soll mit an Bord kommen. Wenn ich mir das heute so überlege, ich steige in so ein Boot, kommt der nächste Offizier und knallt dich über den Haufen. Ist ja toll, dass das damals nicht passiert ist. Sie müssen sich vorstellen, ich klettere nun an Bord, haben ein paar mich geholt, und dann sage ich zu dem Kommandanten, er soll alles antreten lassen, und der macht das! War auf der "Bayern", war ein großes Schiff. Ich halte einen Speech, die ziehen die Rote Fahne hoch und damit hat sich das. (In einem anderen Interview bemerkte Popp dazu: ... ich habe hinterher noch mit dem Kommandanten gesprochen, der hatte selber die „Schnauze voll“).
Auf einem Schiff der Hochseeflotte wird
die Rote Fahne gehißt; Aus "Junge Welt",
1968) |
Zur Frage warum Noske in Kiel relativ freie Hand erhielt
Kuhl: Das kann ich nicht verstehen, das ist mir immer ein Rätsel geblieben: Der Noske ist doch gekommen, um die Revolution praktisch abzuwürgen. (Popp: Ja das ist ihm nicht gelungen.), aber wieso wird er dann in den Vorsitz des Soldatenrats gewählt?
Popp: Ja, wer war denn der Soldatenrat, die kannten einander ja kaum. Das waren doch keine von vornherein politisch ausgerichteten Leute. Ich habe dann noch den Fehler gemacht, da war ein Soldat dabei, den ich persönlich kannte. Den habe ich gerufen, den haben sie dann mitgewählt. Das war mit die größte Dummheit, die es gab. das war ein schauerliches Mannsbild. Wir kannten einander ja kaum. Da war doch keine Rede davon. Ich weiß gar nicht, wieviele Soldatenräte es damals gab. Da in der Ecke wählten sie einen, da einen, da einen. Die richtigen Soldatenräte, das organisatorische, das gab’s doch erst, nachdem ich das organisiert hatte. Das waren doch wilde Geschichten.
Kuhl: Haben Sie nicht versucht, zu verhindern, daß Noske gewählt wurde?
Popp: Ja, warum denn? Ja, ich konnte doch die SPD nicht ausschalten! Hören Sie doch mal zu! Nun gehen Sie mal, wenn Sie einer sind, und die anderen sind zehn, wollen Sie die ausschalten die zehn? Wie machen Sie das?
Kuhl: Man kann es doch auf alle Fälle versuchen.
Popp: Nee, das ist ja putschen Menschenskind!
Zu dieser Frage (warum die Räte Noske in eine führende Position liessen) äusserte sich auch Karl Artelt in Vorträgen vor Angehörigen der Volksmarine. Siehe >>
Das vollständige Interview (das auch Text-Fragmente von Lothar Popp und ein Gespräch mit Holger Malterer über ihn enthält) kann hier betrachtet oder zur privaten Nutzung heruntergeladen werden (pdf, 1350 kB): >>
Anmerkung:
1: Popp merkt an, dass die Gefangenen nach Kiel gebracht worden
seien. Dafür gibt es keine Belege. Nach den Recherchen Dirk
Dähnhardts (Revolution in Kiel, 1978, S. 109) waren die vor
Wilhelmshaven Verhafteten in eine Haftanstalt in Bremen-Oslebshausen
gebracht worden und waren nach dem Kieler Matrosenaufstand von
Kieler Matrosen befreit worden. Dabei stützt er sich auf
Veröffentlichungen von Peter Kuckuk und Ulrich Kluge. Nach
Kiel wurden die während der Fahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal
verhafteten 48 „Rädelsführer“ gebracht,
sowie am Morgen des 3.11. weitere 57 Verhaftete der „Markgraf“.
Dähnhardt spricht von 47 Verhafteten (Dähnhardt, Revolution
in Kiel, S. 54) und gibt als Quelle Bundesarchiv-Militärarchiv
F 4077/64921 an. Es handelt sich nach neuer Signatur um RM 8/1022
und die Angaben befinden sich auf Blatt 257. Danach wurden 23
Heizer, die die Arbeit am Kessel verweigerten, 20 Matrosen, die
sich weigerten anzutreten und 5 vermutete Rädelsführer
verhaftet und dann in Arrestanstalten an Land gebracht. Vermutlich
hat sich Dähnhardt bei der Anzahl geirrt. (Frdl. Hinweis
von Dr. C. Lübcke.)
2: Zur Anzahl der Toten und Verwundeten vergleiche Dähnhardt:
"Revolution in Kiel", Wachholtz Verlag, 1978, S. 65
und 66; nach den amtlichen Dokumenten gab es 7 Tote bei der Schießerei.
Es waren keine Frauen und Kinder unter den Opfern. Eine Frau war
kurze Zeit vorher im Verlauf des Demonstrationszuges unter eine
Strassenbahn geraten und gestorben. Zwei verwundete Personen starben
später. Damit kamen insgesamt 10 Personen im Rahmen der Ereignisse
des 3. November ums Leben.
Für seine Dissertation über die Hamburger Arbeiterbewegung
führte Dr. Volker Ullrich 1970 ein Interview mit Lothar Popp.
Im Jahre 1972 gab es ein weiteres Gespräch zwischen den beiden.
Es gibt leider keine Mitschnitte davon, aber Dr. Ullrich machte
schriftliche Aufzeichnungen, die in der Hamburger Forschungsstelle
für Zeitgeschichte aufbewahrt werden.
Dr. Dirk Dähnhardt interviewte Lothar Popp 1975 für seine Doktorarbeit
über den Kieler Matrosenaufstand. Auch davon gibt es leider keine
Mitschnitte, aber er fertigte handschriftliche Aufzeichnungen
an, die er später ergänzte und abtippte. Die Dokumente wurden
von seiner Frau Ursula Dähnhardt zur Verfügung gestellt.
Eine Transkription der Dokumente kann hier heruntergeladen oder betrachtet werden
(pdf, 110 kB) >>
Stand 14. 8. 2018