Alle Macht den Räten !
4. November 1918
Am 4. November stand fest: Die Matrosenbewegung war nicht durch
Schüsse zu unterdrücken.
Auf Gouverneur Souchons Hilfegesuch kamen sechs
Truppeneinheiten nach Kiel. Jedoch waren einige davon ohne Führung, andere
hatten keine Waffengebrauchserlaubnis und die restlichen Truppen wurden
entwaffnet. Die ersten Auflösungserscheinungen im Heer zeigten sich deutlich.
Das Reichsmarineamt sah ein, daß ein weiteres militärisches Eingreifen keinen
Erfolg bringen würde.
Am frühen Morgen des 4. November gab es vereinzelte
Unruhen. So drangen gegen 8.00 Uhr früh 75 bewaffnete Matrosen in eine Kaserne
in der Prüne ein und erbeuteten Munition und Waffen. Im Laufe
des Tages solidarisierte sich die Arbeiterschaft der Germaniawerft und der
Torpedowerkstatt zunehmend mit den Matrosen. Um 13.00 Uhr schloß sich die
1.Torpedo-Division, die in der Wik stationiert war, der Bewegung an, ebenso die
Werft- und U-Boot- Division.
Am Spätnachmittag des 4.November war kaum noch
eine Kompanie in Kiel intakt.
Die Macht lag eindeutig in den Händen der
aufständischen Matrosen.
Das Kriegskabinett in Berlin war noch immer
unzureichend informiert, jedoch wurden auf Vorschlag des Sozialdemokraten
Scheidemanns der linksliberale Abgeordnete und Staatssekretär Conrad Haußmann
und Gustav Noske, Marinereferent der sozialdemokratischen Fraktion, nach Kiel
entsandt. Um 19.30 Uhr wurden sie bei ihrer Ankunft am Kieler
Hauptbahnhof stürmisch von hunderten von
aufständischen Matrosen begrüßt. Vom Bahnhof fuhren die beiden direkt zum
Wilhelmsplatz, wo sie von Tausenden von Menschen erwartet
wurden. Noske, der auch kein klares Bild von der Lage in Kiel hatte, stellte
allgemeine Betrachtungen an und forderte in dieser explosiven Lage zur Bewahrung
der Ordnung auf, worauf ihm großer Beifall gezollt wurde. Als plötzlich von
unbekannter Seite Schüsse in die Luft abgegeben wurden, löste sich die Masse
sehr schnell auf.
Noske
erkannte als erster die Machtverhältnisse in Kiel und gab der Reichsregierung
telegraphisch Bericht.
Am Abend des 4. November fand eine Sitzung im
Stationsgebäude statt, an der u. a. Noske, Haußmann, der Stab
der Station und Entsandte und Vertreter der Matrosen sowie der Kieler
Arbeiterbewegung teilnahmen. Den erneuten Forderungen der Matrosen konnten Noske
und Haußmann jedoch nur mit dem Zugeständnis weitgehender Amnestie politischer
Gefangener begegnen, da sie nicht über weiterreichende Kompetenzen
verfügten.
Zeitgleich zu diesen Verhandlungen im Stationsgebäude gründeten 40
Matrosen und 6 Arbeiter im Kieler Gewerkschaftshaus den ersten
Kieler Soldatenrat, der der erste Soldatenrat der Deutschen Revolution überhaupt
war. Der Soldatenrat verabschiedete die "14 Kieler Punkte". Politische
Forderungen spielen kaum eine Rolle, Forderungen, die den Alltag der Soldaten
betreffen, stehen im Vordergrund.
3. November 1918 Zurück zum Kalender 5. November 1918
Foto oben: Wilhelmsplatz
Foto mitte: Massenkundgebung in Kiel - aus: H. Sievert, Kieler Ereignisse in Wort und Bild, Kiel 1973, Bild 25
Foto unten: Soldatenrat der "Prinzregent Leopold" - aus: H.J. Pandel, Die Revolution 1918/19, Lesehefte Geschichte, Stuttgart 1984, S. 18