Chaos: Wer entscheidet was ?

5. November 1918

In der Nacht zum 5. November wurde Gouverneur Souchon auf Befehl des Soldatenrates um 2.00 Uhr auf der Grundlage von Gerüchten verhaftet und als Geisel im Bahnhof festgehalten, jedoch morgens um 6.00 Uhr wieder freigelassen. Es fanden auch Übergriffe auf Offiziere statt. Außerdem wurde ein von den Aufständischen noch in der Nacht gedrucktes Flugblatt mit den Ergebnissen der Verhandlungen für die Matrosen und die Bevölkerung herausgegeben. Das Flugblatt enthielt jedoch keine politischen Forderungen. Es fehlte auch ein Programm zur Orientierung: Die Entwicklung der Ereignisse in Kiel verlief spontan.Fuenf - Versammlung.jpg (62281 Byte)
Auf den meisten Schiffen entfernten Decksmatrosen die Reichskriegsflagge und hißten
die Rote Fahne. Außerdem trat die Kieler Arbeiterbewegung in den Generalstreik, und in den Großbetrieben ruhte tatsächlich die Arbeit. Neben dem Soldatenrat gab es seit diesem Morgen nun auch einen Arbeiterrat, ein Gremium, in dem die Mehrheitssozialdemokraten (MSPD) eindeutig dominierten. Vorsitzender des Arbeiterrates wurde Gustav Garbe, der Vorsitzende der örtlichen Gewerkschaft.
Das Phänomen war Noske: Innerhalb 24 Stunden gelang es ihm, das volle Vertrauen der Aufständischen zu erlangen. Sie setzten auf die Sozialdemokratie: Noske wurde am Nachmittag zum Vorsitzenden des Soldatenrates gewählt. Zudem akzeptierten ihn auch die alten Mächte.

Ein richtiges politisches Programm hatte der Soldatenrat allerdings nicht. Er agierte vor allem ordnungspolitisch sowie auch in militärischen Angelegenheiten.
Außerdem sicherte der Soldatenrat mit seinen Patrouillen die Lebensmittelversorgung.
Für die Lebensmittelversorgung war der Arbeiterrat zuständig, in dessen Aufgabenbereich die zivilen Angelegenheiten fielen.
Am 5. November lag die Macht in Kiel in den Händen der beiden Räte. Die vorigen Machthaber, der Stadtkommandant und jetzige Gouverneur Souchon sowie der Oberbürgermeister und seine Verwaltung wurden jedoch im Amt belassen. Die Räte beschränkten sich auf die Kontrolle durch Verhandlungen und das Prinzip der Beiordnung im Amt des Oberbürgermeisters und im Bereich der Polizei und der Post. Die Mitglieder des Arbeiterrates besaßen keine Verwaltungserfahrung. So blieben die Beamten des alten Reiches in ihrem Amt und bekamen nur ein Mitglied des Arbeiterrates zur Seite gestellt, das den demokratischen Gehalt der Beschlüsse prüfen und sichern sollte. Alle waren sich einig, weiteres Blutvergießen verhindern zu wollen. Faktisch übernahm der Arbeiterrat schneller als der Soldatenrat politische Funktion.VZ 6.11PrinzHein 5.jpg (74194 Byte)
Mitten im Zentrum des Aufruhrs lebte bis dahin unbehelligt Prinz Heinrich, der Bruder des Kaisers und der immerhin der Oberbefehlshaber der Ostseestreitkräfte war. An diesem Abend aber fürchtete der Prinz um sein Leben und beschloß, sich auf sein Gut Hemmelmark in der Nähe von Eckernförde zurückzuziehen. Aus Angst erkannt zu werden, versah er sein Auto mit einer roten Fahne, dem Symbol des Soldatenrates, steckte sich auch ein rotes Tuch an und setzte sich selbst ans Steuer. Auf seinem Weg an der Levensauer Hochbrücke ließ er zwei Matrosen einsteigen, die um eine Mitfahrgelegenheit nach Eckernförde baten. Wenig später kam es zu einem Zwischenfall: Das Auto wurde beschossen, einer der Mitinsassen tödlich getroffen. Nichtsdestotrotz konnte der Prinz seine Fahrt unbehelligt fortsetzen.

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Foto oben: Revolutionsversammlung auf dem Kasernengelände in Kiel-Friedrichsort - aus: Kieler Stadtarchiv

Zeitungsartikel: Volkszeitung, 6.11.18

Foto unten: Levensauer Hochbrücke zur Zeit des Deutschen Reiches - aus: Kiel zu Fuß, Hamburg 1989, S. 90